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Astrophysik
Der Purkinje-Effekt

Emil Khalisi

Abb. 1: Das Sonnenspektrum (orange) hat sein Maximum bei 500 nm, aber es wird ebenfalls auf die durch die Atmosphäre (schwarz) reduziert.

Das sichtbare Licht, so wie es vom Auge erfasst wird, nimmt ein winziges Intervall im elektromagnetischen Spektrum ein. Ein Lichtsensor ist in der Regel auf eine viel größere Bandbreite ausgelegt, er ist genauer und in seiner Wirkung effizienter als das Auge. Dennoch ist kein technisches Gerät in der Lage, Farben in der Natur so wahrzunehmen wie ein Lebewesen. Der sogenannte Purkinje-Effekt fungiert als ein Exempel für die biologische Virtuosität, der keine Technik gleichkommt.

Die Theorie der Wahrnehmung (Perzeption) unterscheidet fünf klassische Sinnesorgane: Gehör, Augen, Nase, Zunge und Haut. Bei jedem sind sie unterschiedlich ausgeprägt, was auf die Häufigkeit ihres Gebrauchs zurückgeht. Ein Orchesterdirigent entwickelt im Laufe seiner Tätigkeit ein sehr feines Gehör und ein Koch empfindliche Geschmacksnerven. Das Leben eines Astronomen wird nahezu vollständig durch die Optik bestimmt. Das Auge ist für ihn der mit Abstand wichtigste Sinn, denn alle seine Arbeitsobjekte transportieren Informationen über sich via Photonen, d.h. im Spektrum der elektromagnetischen Wellen. Das gesamte Spektrum von den kurzen Gamma- bis zu den langen Radiowellen ist ein technisches Konstrukt. Ein elektronischer Sensor kann für jedes Frequenzintervall passend entwickelt werden. Mit einem solchen Instrument übersetzt man die Daten aus den unsichtbaren (artfremden) Wellenlängenbereichen so, dass wir als irdische Lebewesen eine ungefähre Vorstellung vom „Aussehen“ der exotischen Strahlungsformen bekommen.

Farben und Wellenlängen

Das naturgegebene Auge funktioniert freilich nicht wie ein Sensor. Es hat seine eigene Wahrnehmungscharakteristik. Unser Sichtfenster beschränkt sich bekanntlich auf Wellenlängen zwischen 380 und 780 nm. Lediglich die Haut kann im Infrarotbereich „sehen“, wenn spezielle Rezeptoren für Wärme gereizt werden: zwischen 750 und 10.000 nm. Im Falle der UVStrahlung, die ja Haut wirkt, handelt es sich nicht um eine echte Wahrnehmung, sondern um eine längerfristige Umgestaltung von Pigmentzellen. Ein weit verbreitetes Missverständnis betrifft die Tatsache, dass man im visuellen Spektralbereich Farben sehen würde. Was wir landläufig Farbe nennen, ist in Wirklichkeit keine physikalische Größe, sondern nur eine Empfindung, die jeder individuell erlebt. Das Licht wird im Auge in einen Nervenimpuls umgewandelt, und erst die Verarbeitung in den nachgeschalteten Hirnstrukturen sorgt für eine Empfindung, die wir als „Farbe“ bezeichnen. Farbe ist also nicht gleich Wellenlänge!
Der Grund, warum man als Mensch nur ein paar wenige Lichtfrequenzen erkennt, liegt in der biologischen Evolution des Auges. Das Auge ist ein hochkomplexes Organ, das durch mannigfaltige Entwicklungsstufen zu dem Apparat geworden ist, der eine Information über andere Gegenstände so geschickt vermittelt, dass diese uns im Alltag als „normal“ oder als „wahrhaftig“ erscheinen.

Stäbchen

Angefangen hat die Schöpfung des Sichtorgans vor mehr als 600 Millionen Jahren, als die primitivsten Einzeller zunächst einen chemischen Stoff zu nutzen begannen, den man Rhodopsin (Sehpurpur) nennt. Es handelt sich um ein Protein, das bei Lichteinfall seine räumliche Struktur ändert. Wenn also Photonen mit einer bestimmten Wellenlänge auftreffen, drehen sich die chemischen Bindungen im Rhodopsin, ohne das Molekül zu zerstören. Solche Drehungen erlauben es der Körperzelle, die das Rhodopsin eingebaut hat, eine banale Funktion für sich zu nutzen: Sie unterscheidet zwischen photonenreichen und photonenarmen Gegenden, kurzum: zwischen hell und dunkel. Das Absorptionsmaximum des Rhodopsins liegt bei einer Wellenlänge von 498 nm (grün). Wie es der Zufall so will, hat die Sonne ihr Plancksches Strahlungsmaximum bei gerade 500 nm. Die Atmosphäre der Erde streut das einfallende Sonnenlicht, so dass an der Erdoberfläche ein Maximum von λ≈550 nm ankommt (Abb. 1). Dies hängt allerdings sehr stark vom Wetter und vom Sonnenstand ab.

Das lichtempfindliche Rhodopsin befindet sich in den Stäbchen der heutigen Retina, der Netzhaut des Auges. Dieses einfache Sichtsystem nennt man skotopisches Sehen. Das menschliche Auge besitzt etwa 110 bis 125 Millionen Stäbchen [4]. Mehrere Stäbchen in der Retina sind mit einer Nervenzelle zusammengeschaltet, die dann ihre Information an das Gehirn weiterleitet. Diese Zusammenschaltung hat den Nachteil, dass das Stäbchensehen eine geringere räumliche Auflösung erlaubt: Die in der Nervenzelle enthaltene Information kann nämlich von verschiedenen Stäbchen herrühren, und die Herkunft des Lichtpunkts bleibt relativ vage, weil sie nur auf die Dichte der Nervenzellen (nicht der Stäbchen) reduziert werden kann.

 

Titelbild Ausgabe 2/2020

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